Die Neuerfindung des Kochfeldes durch einen radikalen Fokus auf den Nutzer
Produktinnovation, Miele & Cie. KGDie Neuerfindung des Kochfeldes
In diesem Projekt eines Haushaltsgeräteherstellers im Premiumbereich sollte die Interaktion zur Bedienung von Kochfeldern nutzerzentriert entwickelt werden.
Kann ein Produkt, welches schon unendliche Male neu gedacht wurde — vom Feuer bis zum Induktionskochfeld — überhaupt noch etwas verbessert werden? Ist Innovation in diesem Bereich überhaupt möglich? Die folgende Case Study zeigt, das es geht und wie es geht.
Unsere eigenen Erfahrungen ausblenden, um Empathie aufzubauen
Zu Beginn des Design-Thinking-Prozesses wurden mögliche Nutzergruppen definiert – vom Single, welcher schnell seinen Hunger befriedigen möchte bis zur Community, die Kochen als gemeinsames Erlebnis zelebriert. In der sehr offenen Beobachtungsphase wurde das Kochen der Nutzergruppen durch Videos festgehalten. Dieses Vorgehen bot den Vorteil, dass die Nutzer sich nicht so stark beobachtet fühlten und damit so agieren, wie sie es auch normalerweise tun. Das Kochen wurde zusätzlich durch alltagstypische Störungen, wie Telefonklingeln oder eine Paketlieferung unterbrochen. Die Reaktionen der „Köche“ in diesen Stresssituationen waren eine entscheidende Grundlage für im Produkt realisierte Unterstützungsfunktionen.
Als Ausschnitte von den Videoanalysen Entscheidern und Experten vorgestellt wurden, war die Verwunderung groß: „Warum zeigen Sie uns Menschen die kochen? Wir wissen doch alle, wie man kocht!“ Aber genau darum geht es bei einer nutzerzentrierten Entwicklung. Wir müssen unsere bisherigen Erfahrungen und Hypothesen über Bord werfen, um Offenheit für die bisher unentdeckten Bedürfnisse und Schmerzpunkte des Nutzers zu entwickeln. Nur so können wir wirklich Empathie aufbauen.
Aufbauend auf der anschließenden Videoanalyse und qualitativer Interviews wurde in der Synthese ein klares Bild über Schmerzpunkte und Bedürfnisse gezeichnet. Die Nutzer wollen nicht bedienen, sondern sie wollen vor allem kochen. Konkret sind die Nutzer genervt davon, auf keramische Flächen zu drücken (um die Leistung zu regulieren) ohne ein haptisches Feedback zu bekommen. Der Zusammenhang zwischen der Eingabe, der Anzeige und dem Aufstellort des Kochtopfes ist nicht immer sofort klar. Und es steht häufig der Wunsch nach einem schönen Kocherlebnis im Vordergrund. Wie kann die Bedienung so intuitiv und einfach wie nur möglich gestaltet werden, damit das magische Kocherlebnis nicht „gestört“ wird?
Am Anfang steht die Wünschbarkeit
Am Ende der Suche nach möglichen Bedienungen stand eine revolutionäre und doch so einfache Lösung zugleich: Die Temperatur des Kochfeldes wird über ein Verschieben des Kochgeschirrs selbst reguliert. Die Bedienung tritt damit maximal in den Hintergrund. Dabei ist das Verschieben eine der intuitivsten Gesten überhaupt. So wurde bereits an der Feuerstelle, später in der Rauchküche und noch später auf der sogenannten Kochmaschine im 19. Jahrhundert die Wärme durch ein Verschieben oder Verstellen reguliert. Erst durch den fortschrittlichen Gasherd ging die Intuition verloren. Im Gegenzug erhielt der Nutzer dafür neben der Sicherheit viele unbestreitbare praktische Vorteile. Die Induktionstechnik erhöhte den praktischen Nutzen, verbleibt aber bei der aus technischer Sicht gedachten Bedienung des Gasherdes.
Erst an zweiter Stelle stand die Machbarkeit und Wirtschaftlichkeit. Eine gute technische Umsetzung nützt uns schließlich nichts, wenn es dem Nutzer keinen Wert bietet. Denn wenn es dem Nutzer keinen Wert bietet, ist er auch nicht bereit, dafür etwas zu bezahlen. Wie kann das Verschieben zur Regulierung der Temperatur also realisiert werden? Gelöst wurde diese durch eine sogenannte Flächeninduktion. Viele kleine Induktionsspulen unter der Ceranoberfläche erhitzen den Topf in Abhängigkeit vom Standort mehr oder weniger stark.
Prototypen bauen, Testen und wieder von vorn beginnen
Was am Ende so einfach und selbstverständlich erscheint, ist das Ergebnis von unzähligen Prototypentests. Entscheidend ist hier die richtige Granularität der Prototypen. Iterativ werden zunächst sehr niedrig aufgelöste Prototypen gebaut, getestet und dann sukzessive durch höher ausgefeilte Versionen ersetzt. Der einfachste Prototyp war in diesem Fall ein einfacher Ausdruck des Kochfeldes in realer Größe. Dieses wurde dann in einer Küche platziert und mit Nutzern getestet. Verschiedene Interaktionsstufen wurden dann einfach durch weitere Ausdrucke, welche in Abhängigkeit der Reaktion des Nutzers aufgelegt wurden, simuliert. Durch diese sehr einfachen Prototypen konnten sehr schnell viele Erfahrungen gesammelt werden. Entscheidend ist die Auflösung der Prototypen schrittweise zu steigern
Ein (fast) echtes Produkt – Wizard of Oz
Am Ende des Innovationsprozesses stand ein hoch aufgelöster Prototyp, welcher für den Nutzer nicht mehr von einem real existierenden Produkt zu unterscheiden war. Bei einem Verschieben des Kochtopfes wurde dieser mehr oder weniger erhitzt. In Wirklichkeit wurde die Leistung aber im Hintergrund von einem Menschen reguliert. Den Probanden wurde also eine Illusion eines realen Produktes vorgespielt. Für den Test bedeutete dies eine erhebliche Kosteneinsparung, während für den Nutzer kein Unterschied merkbar war. Dieser erfolgreich mit mehreren Nutzergruppen getestete Prototyp war die Grundlage für die schließlich im Markt eingeführte Innovation.